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Leseprobe aus "Maskenjagd" #1

Als der Wind durch die Straßen heulte, klapperten die Fensterläden der umstehenden Häuser. Eine Mülltonne fiel um und verteilte ihren Inhalt auf dem schmalen Bordstein.
Es war erst sechs Uhr morgens. Zu früh für die ersten Menschen auf den Straßen. Daher hörte Julia Schröder, abgesehen von dem Heulen des Windes, nicht viel. Sie schlang sich den roten Baumwollmantel enger um ihre füllige Gestalt und stapfte die enge Gasse entlang. Sie konnte schon das Schild ihrer Bäckerei erkennen. Es ragte über der Eingangstür in die Gasse hinein. Sie hatte es bei der Eröffnung selbst aufgehängt und voller Stolz ihren ersten Kunden präsentiert.
Sie griff in ihre Handtasche und wühlte zwischen Taschentüchern, Tampons und einem Roman von Cecelia Ahern nach ihrem Schlüssel. Sie schob einen Zettel beiseite, auf dem sie sich eine Idee für ein Rezept notiert hatte und zog den Schlüssel aus ihrer Tasche, als sie an der Bäckerei ankam. In einer halben Stunde würden schon die ersten Kunden kommen und bis dahin gab es einiges zu tun. Sie schloss auf und trat in das Innere. Sobald die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, wurde der Wind leiser. Sie hörte nur noch das Glas ihres Schaufensters beben. Sonst war es still. Julia steckte den Schlüssel in das Türschloss und drehte zwei Mal um. Sie war eigentlich nicht sehr ängstlich, aber bei diesem Unwetter schreckte sie bei jedem Geräusch zusammen. Es wurden ungute Erinnerungen geweckt, die sie lieber ganz weit nach hinten schob.
Sie machte Licht. Hinter den Glasscheiben an der Theke waren noch keine Backwaren ausgelegt. Nur ein paar Krümel ließen erahnen, dass dort vor ein paar Stunden noch Croissants, Brötchen und Kuchen gelegen hatten.
Sie stellte ihre Handtasche auf den Stehtisch neben dem Kühlschrank, an dem sie Kaltgetränke, Butter und Eier anbot. Sie ging an der Theke entlang und zur Tür, die in den hinteren Bereich ihrer Bäckerei führte. Der Kollege hatte vor zwei Stunden die Brötchen und Leckereien gebracht, die sie heute verkaufen würde.
Früher, als sie noch davon geträumt hatte, in einer Bäckerei zu arbeiten, hatte sie sich vorgestellt, wie sie nachts leckere Zimtschnecken, Weckmänner, Schokoladenkuchen und Brot mit einer festen Kruste und einem weichen Inneren backen würde. In ihrer Vorstellung hatte sie eine selbst genähte Schürze getragen und ständig irgendwo Mehl an sich. Im Haar, an den Händen und ihrer Kleidung.
Die Realität sah anders aus.
Sie schnappte sich die erste Palette mit Körnerbrötchen. Immer zwei Brötchen auf einmal legte sie hinter der Glasscheibe aus. Dabei lauschte sie den Geräuschen, die von draußen drangen und vermied den Blick in das Schaufenster. Sie würde ohnehin nur ihr eigenes Spiegelbild erkennen können.
Als sie ein Pochen hörte, zuckte sie zusammen. Jemand klopfte gegen das Glas der Eingangstür. 
 

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