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Leseprobe aus "Maskenjagd" #2

Er zog sich von dem Schaufenster zurück. Das Telefon in seinem Büro klingelte. Er wollte nicht dran gehen. Nicht heute. Nicht an diesem Tag und nicht bei diesem Wetter. Trotzdem schlurfte Daniel in sein Büro und setzte sich hinter den schmalen Schreibtisch. Er saß selten dahinter. Er mochte die Arbeit am Schreibtisch nicht. Meistens schob er sie so lange auf, wie möglich. 
Er nahm den Hörer ab. »Bestattungsinstitut Walter, Daniel Walter am Apparat.«
»Hallo.«
Er drückte den Hörer fester an sein Ohr. »Hallo?«
»Hallo.«
»Wer ist denn da?« Daniel runzelte die Stirn.
»Ich bin’s.«
Langsam richtete er sich wieder auf und atmete auf. Klar. Wer hätte es sonst sein sollen?
»Hallo Ruben.«
»Weißt du, was für ein Tag heute ist?«
»Klar. Es ist der zweite Februar.«
»Warum hat mir das keiner gesagt?«, fragte Ruben. Er hatte seine Stimme erhoben, aber Daniel ließ sich nicht von ihm einschüchtern.
»Was? Dass heute der zweite Februar ist?« Er wusste ganz genau, dass Ruben etwas anderes meinte und Grund genug hatte, an diesem besonderen Tag so aufgeregt zu sein.
»Hör auf so zu tun, als wüsstest du nicht, was ich meine«, bellte Ruben. »Dieser scheiß verfluchte Sturm und dann dieses scheiß verfluchte Datum. Ich wusste nicht, dass heute der zweite Februar ist. Warum stürmt es heute?«
Daniel massierte sich die Nasenwurzel. »Frag mich nicht«, sagte er und schloss für einen Moment seine Augen.
Er selbst hatte sofort ein ungutes Gefühl bekommen, als er gehört hatte, dass es heute stürmen sollte. Aber da war er wohl der einzige gewesen. Er hatte nichts von Ruben, Freddie, Julia oder Viktor gehört. Keiner von ihnen hatte sich gemeldet, um mit ihm über die Vergangenheit zu sprechen. Daher war er davon ausgegangen, dass es ihnen egal war. Scheinbar hatte er sich geirrt. Ruben war es offensichtlich nicht egal. Er hatte nur nicht bemerkt, was heute für ein Datum war. Vielleicht ging es den anderen ähnlich.
»Scheiße, oder?«, fragte Ruben nun etwas ruhiger.
»Irgendwie unheimlich«, flüsterte Daniel. Er warf einen Blick durch die Tür zum Verkaufsraum. Obwohl viele Särge in dem Raum standen, konnte er erkennen, dass niemand in seinem Laden war.
»Meinst du, wir sollten irgendetwas machen?«, fragte Daniel, als Ruben nichts erwiderte.
Es herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Dann seufzte er. »Nein. Was sollten wir denn tun?«
Daniel lehnte sich langsam zurück. »Ich weiß es nicht. Sollten wir vielleicht in die Kirche gehen oder zumindest beten?«
Ruben lachte heiser. »Was sollten wir denn in der Kirche? Bist du plötzlich Christ geworden?«
»Nein.«
»Jude?«
»Nein.«
»Moslem?«
»Nein, Ruben.«
»Gut. Dann weiß ich nicht, warum du jetzt beten willst.«
Daniel schwieg. Dann erwiderte er: »Ich weiß es auch nicht.«
»Lass uns den Tag einfach so schnell wie möglich hinter uns bringen. Was vor siebzehn Jahren passiert ist, ist vorbei. Es ist Vergangenheit.«
Daniel nickte langsam. »Vergangenheit«, wiederholte er.
»Genau. Und jetzt lass mich in Ruhe, ich will davon nichts mehr wissen.«
Bevor Daniel Ruben daran erinnern konnte, dass er ihn angerufen hatte, legte dieser auf. Daniel sah auf den Hörer in seiner Hand.
»Es ist vorbei«, wiederholte er, ohne so richtig daran zu glauben. Dann legte er den Hörer auf die Gabel und versuchte zu vergessen.

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